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Titel
Da verfiele Basel überall. Das Basler Erdbeben von 1356


Autor(en)
Meyer, Werner
Reihe
184. Neujahrsblatt. Hg. Von der Gesellschaft für das Gute und Gemeinnützige
Erschienen
Basel 2006: Schwabe Verlag
Anzahl Seiten
230 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Monika Gisler, ETH Zürich

In der Schweiz, wie in anderen europäischen Gegenden mit geringer oder moderater Seismizität, gehört die Erforschung von historischen Erdbeben zur Seismologie. Im Verbund mit weiteren Zweigen der Erdbebenwissenschaft, unter anderem der Archäo- und Paläoseismologie, geht es darum, für die Abschätzung von Gefährdung und Risiko relevante Daten bereitzustellen. Im Vordergrund steht dabei nicht in erster Linie die Erdbebenprognostik, sondern die Gefährdungsanalyse mit der Unterscheidung von gefährdeten und weniger gefährdeten Regionen. Ziel der Gefährdungsanalyse ist die Intensivierung und Verbesserung der Erd bebenvorsorge (Prävention); sie liefert die Grundlagen für die Ertüchtigung bereits bestehender Bauten bzw. zur Erdbebensicherheit beim Erstellen von Neubauten. Die historische Seismologie ist so zu einem wichtigen Feld der Erdbebenforschung geworden und es ist inzwischen unbestritten, dass eine solche Arbeit nur als interdisziplinäre Anstrengung erfolgreich sein kann. Auf der anderen Seite interessiert sich auch die Geschichtswissenschaft zunehmend für Themen der Umweltgeschichte und damit auch der Naturkatastrophenforschung, wobei man auch hier in der Regel darum bemüht ist, verschiedene Teilaspekte, neben der Ereignisgeschichte vor allem die Sozial- und Mentalitäten- und die Wissenschafts geschichte, einzubeziehen.

Werner Meyer, der emeritierte Mittelalterhistoriker der Universität Basel, hat sich im Auftrag der Gesellschaft für das Gute und Gemeinnützige Basel des Basler Erdbebens von 1356 angenommen und anlässlich des 650-Jahr-Gedenkens sich erneut mit der Geschichte dieses stärksten bekannten Erdbebens nördlich der Alpen auseinandergesetzt. Meyer verfolgt dabei nicht in erster Linie die Darlegung neuer Erkenntnisse, sondern begnügt sich damit, das in der älteren Literatur erarbeitete Wissen kritisch zu würdigen, die Schriften auf ihren Aussagewert hin zu überprüfen und mit den Befunden archäologischer und bauanalytischer Untersuchungen der letzten Jahrzehnte zu vergleichen (S. 19). Die ältere Forschungsliteratur beurteilt er als zu stark auf Teilaspekte konzentriert, ein Befund, den die Rezensentin durchaus teilt, wurden aus der bisherigen Forschung soziale, politische und mentalitätshistorische Aspekte weitestgehend ausgeklammert. Dennoch enttäuscht der Beitrag Werner Meyers in einer (wesentlichen) Hinsicht: Der Historiker und Mittelalterarchäologe legt in seiner Aufarbeitung keine neuen Daten vor, sondern beschränkt sich darauf, das bereits bekannte Material neu auszulegen und zu werten. Da die meisten bekannten zeitgenössischen Quellen bereits Mitte des 19. Jahrhunderts erschlossen worden sind1, bedürfte es nun dringend einer erneuten Anstrengung zur Aushebung bislang unbekannter Archivalien2.

Werner Meyer gelingt es mit seinem Buch, das Ereignis in einem historiografischen Rahmen umfassend darzustellen und über die bislang vorliegende Literatur hinauszugehen. So beschränkt er sich nicht nur auf eine Rekonstruktion des eigentlichen Ereignisses, sondern situiert es im Kontext seiner Zeit. In einem ersten Teil («Das Ereignis») kommt er folgerichtig auf die Aspekte der betroffenen Gesellschaft und auf die herrschaftspolitische Situation zu sprechen. Dieser einleitenden Skizzierung folgt die Schilderung des Geschehens an diesem verheerenden 18. Oktober 1356. Was an diesem Tag genau geschah, kann uns allerdings auch Meyer nur unvollständig und in Ansätzen vor Augen führen. Einen Schwerpunkt setzt der Autor zu Recht auf der kritischen Würdigung des umfangreichen – und einer eigentlichen Basler «Seismophilie» verfallenen – Forschungsstandes. Der zeitgenössische Quellenbestand ist zwar im Vergleich mit der Schriftlichkeit des 14. Jahrhunderts als gut einzuschätzen, von seismologischer Warte her jedoch als mager zu bezeichnen. Das Gros der Schriften zum Ereignis stammt allerdings aus den nachfolgenden Jahrhunderten und zeichnet ein entsprechend uneinheitliches Bild. Ein Beispiel dazu muss genügen: Die zeitlich unmittelbar auf das Beben verfasste Prophezeiung des Johannes de Rupescissa berichtet aus geografischer Entfernung von «innumeris habitatoribus interfectis», von zahllosen Toten. Andere zeitgenössische Belege enthalten überhaupt keine Hinweise auf Opfer. Konkrete Zahlen tauchen indessen erst in den Schriften nach 1400 auf, die überlieferte Zahl erreichte im 16. Jahrhundert die Schwelle von 2000 Toten, in einer Stadt von höchstens 7000 Einwohnerinnen und Einwohnern. Namentlich gesichert sind lediglich drei Todesopfer; Meyer schätzt, dass das Beben kaum mehr als einige Dutzend Menschenleben gekostet hat. Diese relativ geringe Zahl darf jedoch nicht zum Anlass genommen werden, das Ereignis als unwesentlicher als bislang angenommen einzuschätzen, vielmehr ist sie dem Umstand anzurechnen, dass ein schriftlich bezeugtes Vorbeben die Menschen wohl aus den Gebäuden in das freie Feld getrieben hat.

Weiterhin gelingt es dem Autor zu zeigen, dass die Bauweise der Gebäude in direktem Zusammenhang mit dem Ausmass ihrer Zerstörung stand. Doch auch hier lässt sich kein einheitliches Bild rekonstruieren. Schriftquellen und bauanalytische Befunde widersprechen sich bezüglich dem Ausmass der Zerstörung. Sicher ist nur, dass die Stadt Basel nicht, wie in den – vor allem jüngeren – Quellen beschrieben, gesamthaft zerfallen ist (das Umland sowieso nicht). Bauanalytische Untersuchungen konnten im Gegenteil zahlreiche Gebäude auf die Zeit vor 1356 datieren, so dass diese als nicht vollständig zerstört angenommen werden können. Erschwerend kommt hinzu, dass die Spuren des Erdbebens bereits für die Zeitgenossen durch das nachher ausgebrochene verheerende Feuer verwischt wurden.

Längerfristige negative Konsequenzen für die Stadt Basel hatte das Beben nicht. Meyer erhellt in einem zweiten Teil («Die Auswirkungen»), wie es der Stadt Basel gelang, angesichts der Schwere des Erdbebens erstaunlich rasch zum Alltag zurückzukehren. Wohl mochte es einige Monate gedauert haben, bis in der Stadt wieder eine Verwaltung funktioniert hatte, und der Wiederaufbau hatte insgesamt wohl gut zwei Jahrzehnte gedauert. Basels Finanzkraft jedoch wurde vom Erdbeben nicht entscheidend geschwächt, und die politische und wirtschaftliche Entwicklung der Stadt erfuhr in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts einen beträchtlichen Auftrieb («Die Zeit nach 1356»).

Wie steht es nun mit den Auswirkungen des Ereignisses in der unmittelbaren Region bzw. in der weiteren Umgebung Basels? Das Beben hat in einem elliptischen Umkreis von ca. 45 x 85 Kilometern Schäden angerichtet. Allgemein bekannt sein dürfte, dass mit dem Erdbeben zahlreiche Burgen in der Umgebung beeinträchtigt wurden. Nur: welche? Zwar geistern seit dem 15. Jahrhundert etliche Listen von Burgennamen herum, die durch die seismischen Erschütterungen teilweise oder gänzlich zerstört worden sein sollen. Aber wohlgemerkt: Diese Listen entstanden frühestens 50 Jahre nach dem eigentlichen Ereignis, und es ist bis heute nicht geklärt, woher namentlich bekannt sein soll, welche der Burgen durch das Erdbeben tangiert wurden. Ein historiographisch interessantes Problem, dem man längst hätte nachgehen sollen. Leider löst Werner Meyer dieses Desiderat, trotz seiner profunden Quellen- und archäologischen Kenntnisse, so gut wie gar nicht ein. Wohl gelingt es ihm, an dem Bild der totalen Zerstörung der Burgen kenntnisreich Korrekturen anzubringen; es enttäuscht jedoch, dass gerade diesbezüglich keine neuen Erkenntnisse geboten werden.

Den ausführlichen Schilderungen Werner Meyers ist ein Essay des Geologen Hans Laubscher beigestellt. Dieser vom Haupttext losgelöste Beitrag präsentiert einige in den letzten zehn Jahren intensiv diskutierte Thesen rund um das Beben von 1356, wie die Lokalisierung des Bruches und die Wiederkehrperiode eines Erdbebens dieser Stärke. Deutlich wird dabei vor allem eines: Von einer befriedigenden Erklärung ist man weit entfernt. Eine aufgrund der vorgenommenen seismologischen und geologischen Untersuchungen gut begründete These, die den «Reinachbruch» als Auslöser für das Erdbeben von 1356 benennt, wird von Hans Laubscher als nicht schlüssig beurteilt. Einen befriedigenden Befund legt jedoch auch der Geologe nicht vor. Geradewegs unverständlich erscheint dann seine abschliessende Bemerkung, dass, wo nur sehr selten grosse Erdbeben auftreten, «eine Zuflucht in statistische Modelle» (S. 217) von fragwürdigem Nutzen sei. Damit wird in den Augen Laubschers eine Gefährdungsanalyse der Region obsolet; eine Einschätzung, die vor dem Hintergrund der Überlegungen zur Erdbebenprävention geradezu paradox erscheint.

Die Bemühungen Werner Meyers, das Erdbeben umfassend darzustellen, sind insofern gelungen, als neben der eigentlichen Rekonstruktion des Ereignisses auch soziale, politische und demographische Fragen sowie Überlegungen zur Bewältigung zur Sprache kommen, die über das eigentliche Ereignis hinausweisen. Die Arbeit erfährt jedoch keinerlei Einbettung in die gegenwärtige Forschungsdebatte rund um das Problem von «Naturkatastrophen». Das diskutierte Ereignis steht losgelöst von einer Naturkatastrophengeschichte. Das Buch stellt eine anregende Lektüre für ein interessiertes Publikum dar; dem aktuellen Forschungskontext hat es nicht wirklich etwas Neues hinzuzufügen.

1 Vgl. die im Rahmen der 500-jährigen Wiederkehr des Ereignisses 1856 vorgenommene Zusammenstellung von Quellen durch Wilhelm Wackernagel: «Das Erdbeben von 1356 in den Nachrichten der Zeit und der Folgezeit bis auf Christian Wurstisen». In: Basel im vierzehnten Jahrhundert. Geschichtliche Darstellungen zur fünften Säcularfeier des Erdbebens am S. Lucastage 1356, Basel 1856.
2 Eine Ausnahme stellt die sorgfältige Studie über die baulichen Schäden an bedeutenden Basler Bauten der Historikerin Elisabeth Wechsler dar; vgl.: Das Erdbeben von Basel 1356. Teil 1: Historische und kunsthistorische Aspekte, Zürich 1987. – Ein laufendes interdisziplinäres Projekt am Schweizerischen Erdbebendienst der ETH Zürich, an dem auch die Rezensentin beteiligt ist, rekonstruiert aufgrund neuer Befunde aus Geschichte, Archäologie, Paläontologie und Ingenieurseismologie das Ereignis neu.

Zitierweise:
Monika Gisler: Rezension zu: Werner Meyer: Da verfiele Basel überall. Das Basler Erdbeben von 1356. Mit einem geologischen Beitrag von Hans Peter Laubscher. 184. Neujahrsblatt. Hg. Von der Gesellschaft für das Gute und Gemeinnützige, Basel, Schwabe, 2006. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 56 Nr. 3, 2006, S. 355-357.

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Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 56 Nr. 3, 2006, S. 355-357.

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